Die Absetzung von Milch als Generalluftzeugmeister zum 30.06.1944 [1] und der wenige Tage zuvor verfügte Stopp des gesamten Bomberbaus [2] veränderten nichts zum Besseren. Die von Milch initiierte Massenproduk-tion unterlegener konventioneller Jagdmaschinen [3] wurde auf die Spitze getrieben. Ende des Jahres 1944 gin-gen um die 2.000 dieser Flugzeuge monatlich den Verbänden zu. Sie waren durch die überstürzte Fertigung mei-stens technisch unzulänglich [4] und konnten weder betankt noch bemannt werden.
Aus dem geplanten Masseneinsatz gegen die alliierten Bomberflotten wurde nichts, da die Maschinen auf Hitlers und Görings Geheiß als Jagdbomber gegen die feindlichen Bodentruppen eingesetzt werden mussten und in die-ser Funktion verbraucht wurden [5]. Die deutschen Städte blieben durch diese Ketten von Fehlentscheidungen ohne wirklichen Schutz.
Zur Erdkampfunterstützung hätte man anstelle der Jagdbomber wohl doch besser auf das Panzerschlachtflug-zeug gesetzt, wie es die Sowjets mit der Iljuschin Il-2 erfolgreich vorgeführt hatten, was auch von der deutschen Luftwaffe anerkannt wurde [6]. Dennoch wurde die Maschine nicht nachgebaut [7]. Kritikern dieser Idee aufgrund der nicht zu verheimlichenden Unzulänglichkeiten sei entgegengehalten, dass die Sowjets mit dem Nachfolge-modell Il-10 eine perfektionierte und schnelle Maschine vorlegten. Ein deutscher Entwurf, etwa mit Daimler-Benz DB 603 ausgerüstet, hätte ähnliche Eigenschaften bringen können. Die zur selben Klasse gehörende, häufig für unzulänglich gehaltene, dennoch von ihren Piloten geschätzte Henschel Hs 129 [8] war dem Bomberstopp mit zum Opfer gefallen [9].
Zur Bodenunterstützung, etwa als Artilleriebeobachter, wäre auch der Hubschrauber geeignet gewesen, etwa in Gestalt der Flettner Fl 282. Das deutsche Heer hatte das auch zutreffend erkannt und die Produktion von 1000 Maschinen gefordert. Woraus aber in Begleitung / mit "Begründung" durch Milchs ewige Leier der fehlenden Ka-pazitäten erwartbar nichts wurde [10].
Spätestens mit dem Stopp der Bomberproduktion hätten die Heinkel-Werke genügend Kapazität frei haben müs-sen, um den selbst entwickelten Nachtjäger He 219 in großer Zahl herzustellen. Diese Maschine hatte Milch je-doch von Beginn an schlechtgeredet [11]. Eine Monatsproduktion von 100 Stück erscheint jedenfalls nicht aus-geschlossen [12]. Stattdessen wurden insgesamt keine 300 He 219 produziert [13].
Angesichts der verzweifelten Kriegslage und mangels Auslastung machte Heinkel sich an den Schlusspunkt der deutschen Flugzeugentwicklung des Zweiten Weltkriegs, den "Volksjäger". Die kleine, primitive, in Massen zu pro-duzierende und von ungeübten Piloten, etwa Hitlerjungen, zu fliegende Maschine sollte doch noch die Wende im Luftkrieg bringen. Doch die im "Heinkel-Tempo" innerhalb weniger Monate zusammengeschusterte He 162 [14] erfüllte weder die technischen Erwartungen, noch war sie vor Kriegsende überhaupt wirklich verfügbar [15].
[1] Ausführlich plus Ereignisse im Umfeld beschrieben bei Boog {1}, S. 296ff. Boog, der Milch damit zitiert, er hätte die "Nase voll" gehabt und "sich selbst herausorganisiert" hätte (S. 298), erwähnt nicht expressis verbis, dass Milch die nominelle Nr. 2 Speers auch im Jäger- und Rüstungsstab blieb. Seine Rüstungspolitik (siehe auch zu Anmerkung [3]) wurde fortgesetzt, auch wenn er nach außen "kaum noch in Erscheinung" (so formuliert Boog weiter auf S. 298) trat.
[2] Boog {1}, S. 147f. Ausgenommen waren natürlich die Strahlbomber und die Do 335.
[3] Eichholtz, Bd. III, S. 18ff. Passend auch aus Rede Milchs zur Einführung des Jägerstabs am 31.03.1944 bei Hentschel, S. 203.
[4] Eichholtz, Bd. III, S. 21, Anm. 89, demnach meinte Messerschmitt, die "Ent-rümpelung" der Maschinen durch den Jägerstab hätte deren Einsatzbereit-schaft [mindestens ansatzweise] verunmöglicht. Auf sehr häufige Motorpro-bleme bei Jagdmaschinen ab Sommer 1944 weist auch Baumbach hin, S. 240.
[5] Boog {1}, S. 136.
[7] Wikipedia zur Il-2: "Von deutschen Truppen wurden über 100 Il-2 erbeutet. Sie wurden jedoch nur getestet und nicht eingesetzt, da das Flugzeug von der Luftwaffe als für den Piloten gefährlich eingestuft wurde, weil es keinen tech-nischen Normen entsprach."
Eine Ablösung der Junkers Ju 87 wurde abgelehnt, weil das Nachfolgemuster "gegen England" nichts bringen würde, so am 06.04.1943 bei Hentschel, S. 91 [in völliger Ignorierung der Anforderungen etwa der Ostfront und der begrenz-ten, aber vorhandenen Erfolge der Ju 87 gegen das südenglische Radarsys-tem 1940].
[8] Martin Pegg, Hs 129 Panzerjäger!, Classic Publications, Burgess Hill 1997, lässt im Vorwort (ohne Seitenanzeige) zu diesem Buch die Piloten Franz Os-wald und Gebhard Weber entsprechend kommentieren.
[9] Im Gegensatz zu den Bombern, bei denen angefangene Maschinen fertig-gebaut werden durften, mussten alle begonnenen Hs 129 und deren Produk-tionsvorrichtungen komplett verschrottet werden (Budraß {1}, S. 877). Eine solche Anordnung hat den Anschein von Überaggression.
[10] Hentschel, S. 183f. [Oberst Dr. Georg] Pasewaldt nennt dort die Maschine [offensichlich als Anspielung auf die Vorführung der Focke-Achgelis Fa 61 durch Hanna Reitsch in der Berliner Deutschlandhalle 1937/38] "Zirkusflug-zeug".
[11] "Die He 219 ist gut, bei einem Einsatz hat sie fünf abgeschossen... Mehr kann ich nicht verlangen. Vielleicht hätte [der im angesprochenen ersten Ein-satz erfolgreiche Pilot Major Werner] Streib aber auch mit einer anderen Ma-schine soviel Erfolg gehabt...", so wörtliches Zitat Milchs bei Roland Remp, Der Nachtjäger Heinkel He 219, Aviatic Verlag, S. 67. Bedeutet, die He 219, oder eine beliebige andere Maschine, kann technisch so gut sein, wie sie will. Sie ist dennoch überflüssig.
[12] Diese Möglichkeit sah auch Milch selbst in Form eines von drei Vorschlägen, ds., S. 82.
[13] Wikipedia zur He 219. General Kammhuber sprach von "Vertröstungszah-len" (Heinkel, S. 443). Das Argument, Milch hätte nur Stückzahlen, aber keine Qualität im Sinn gehabt, kann man im Fall der He 219 nicht anführen. Anstelle der He 219 pushte er die Nachtjägerversion der Junkers Ju 388, die noch nicht produziert werden konnte und der He 219 leistungsmäßig unterlegen war, und die von Focke-Wulf fehlkonstruierte Ta 154 (ds.). Die Einführung beider Ma-schinen hätte unweigerlich Zeitverzögerung bei der Produktion von Nachtjäg-ern bedeutet. Hier hatte es Milch also weder auf Stückzahlen noch auf Quali-tät abgesehen.
Stillas Kritik an der He 219 (S. 130 Anm. 676, "Und dabei stellte sich die He219 als keineswegs so leistungsstark wie von Heinkel gepriesen heraus.") wird an dieser Stelle für ungerecht gehalten. Leistungseinbußen infolge nicht maxima-ler Ausreizung des Flugzeugzellenkonzepts bei der He 219 bedeuteten auf der anderen Seite im Fall eines Nachtjägers essentielle, günstige Flug-, vor allem Landeeigenschaften (S. 89 in Roland Remp, Der Nachtjäger Heinkel He 219,
Aviatic Verlag Oberhaching 1999).
[14] Heinkel, S. 446f.
[15] Wikipedia zur He 162.