Der große, schwere und sperrige Bomber sollte langsamer sein als sein Erzfeind, der Abfangjäger, meint die unhinterfragte Anschauung. Die Flugzeugentwickler der 30er Jahre waren vom Gegenteil überzeugt, und das aus guten Gründen, wie wir noch sehen werden. Tatsächlich blieb fast während des ganzen Krieges die Schnellbomberentwicklung ein Thema in Deutschland, und auf diesem Gebiet kam sogar etwas mehr als nichts dabei heraus. Die Zuordnung von Typen zu dieser Klasse kann sich dabei mit anderen Klassen überschneiden, und es herrscht Konkurrenz auch zwischen den Flugzeugklassen, selbst wenn die einzelnen Muster sich manchmal nicht groß gleichen.
Die deutschen mittleren Normalbomber begannen alle ihre Entwicklung im Bereich "schnell", dabei die Dornier Do 17 und die Junkers Ju 88 als Schnellbomber, die Heinkel He 111 als schnelles Verkehrsflugzeug. Nur stellte sich beim Vorkriegs-Schnell-bomber ein grundsätzliches Problem heraus: man traf damit nichts [1]! Das war der Grund, warum man von diesem Konzept abkam. Für Einsätze gegen Punktziele setzte man demnach auf die Ju 88 als schweren Sturzbomber, während Do 17 und He 111 in die Rolle des Normalbombers abgedrängt wurden, der im Pulk und mit größerer Streuung der abgeworfenen Bomben angriff. Letzten Endes traf das auch auf die Ju 88 zu, da nur wenige Piloten den komplizierten Sturzangriff beherrschten, der zu-dem zu hohen Verlusten führte [2]. Die Spezialentwicklungen Heinkel He 119 und Henschel Hs 127 fielen unter diesen Umständen völlig hinten runter.
Nachdem sich dergestalt auch das Sturzbomberkonzept als erfolglos erwies, sah man sich genötigt, auf das Konzept des Schnellbombers zurückzukommen. Die Lösung sollte zunächst das Mehrzweckflugzeug Messerschmitt Me 210 darstellen. Damit leistete sich aber die Firma Messerschmitt ihren Anteil an den Entwicklungsflops, die außer Messerschmitt mehrere Firmen der deutschen Luftfahrtindustrie plagten (Focke-Wulf mit der Fw 191 und der Ta 154, Heinkel mit der He 177, Henschel mit der Hs 130).
Als Sonderfall des Schnellbombers sind die Jagdmaschinen Messerschmitt Bf 109, Focke-Wulf Fw 190 und der Zerstörer Mes-serschmitt Bf 110 anzusehen, die mittels außen angehängter Bomben in die Behelfsbomberrolle gedrängt wurden. Soweit sie nicht zur Erdkampfunterstützung als Jagdbomber eingesetzt wurden, blieben nur Störangriffe über England, die sie sich mit besseren Normalbombern (Dornier Do 217, Junkers Ju 188) und der verbesserten Version der Me 210, der Messerschmitt Me 410, teilten.
Der Erfolg der britischen De Havilland Mosquito, obwohl seinerseits keineswegs kriegsentscheidend, sondern höchstens ener-vierend, erzeugte weiteren Druck, im Schnellbomberbereich zu einer Lösung zu kommen. Die Me 410 füllte diese Rolle leidlich aus [3]. Sie mit einem besonderen Bombenzielgerät treffsicherer zu machen, hätte aber eine vollständige Umkonstruktion des Cockpits erforderlich gemacht [4] .Weiter stritt sich der Jagdflugzeugbereich mit den Kampffliegern um die Maschine [5], deren Reichweite wiederum als nicht ausreichend angesehen wurde [6]. Um dem Problem zu begegnen, kehrte die Firma Junkers mit der Version S der Ju 88 zum Schnellbomberprinzip zurück. Als besonders fahrthindernd erwies sich die bei der Ju 88 Normal-version A notwendige Außenaufhängung von Bomben. Nachdem dieses Prinzip bei der Ju 88 S-1 zunächst beibehalten wurde [7], bekam die S-2 eine besondere Bombenwanne [8]. In dieser Konfiguration überzeugte die Maschine. Ihre im Vergleich zur Version A aber kaum geänderte Kabine erwies sich jedoch als nicht höhentauglich [9], im Gegensatz zu derjenigen des Nor-malbombers Ju 188, mit der die Ju 88 S auch um die wertvollen BMW 801-Sternmotoren konkurrierte.
Dass das Schnellbomberkonzept zumindest technisch durchaus Sinn machte, bewiesen Überlegungen, die die Firmenver-antwortlichen diskutierten. Messerschmitt (mit der Bf 109 Z, einer Zwillingsversion der Bf 109), Junkers und Heinkel legten hierzu Entwürfe von zweimotorigen Doppelrumpfmaschinen vor [10]. Diese Maschinen konnten im Vergleich zu einmotorigen Jagdflugzeugen mehr Motorkraft in eine nicht ganz verdoppelte Zelle legen und waren im Ergebnis tatsächlich schneller. Junkers fügte auch noch die Alternative einer einrumpfigen Maschine bei, wobei wie bei der japanischen Kawasaki Ki-64 ein Motor vor und einer hinter dem Piloten platziert werden sollte. Für diese Auslegung rechnete man jedoch mit einem hohen Entwicklungsrisiko [10].
Die Überlegenheit der o.a. Entwürfe wurde aber durch die Tatsache zunichte gemacht, dass, wie beim Jagdbomber, die Bomben außen aufgehängt werden mussten und somit Geschwindigkeit kosteten. Die Lösung des Problems bot Dornier mit der Do 335 an: die Tandemkonfiguration der Motoren gab Platz für einen Bombenraum, erlaubte eine große Flügelfläche und damit ver-gleichsweise geringe Flächenbelastung und lieferte hervorragende Flugleistungen [11]. Die Konferenz im Januar 1943 führte aber lediglich zum Erstflug der Maschine Ende Oktober des Jahres. Wesentliche Stückzahlen konnten bis Kriegsende nicht gebaut werden und die Maschine übte auf das Kriegsgeschehen keinerlei Einfluss aus.
Am Ende wurden auch noch der Düsenjäger Messerschmitt Me 262 und der Düsenaufklärer Arado Ar 234 in die Bomberrolle gedrägt [12]. Das Grundproblem des Schnellbombers blieb aber bestehen: man traf damit nichts. Die Einsätze der Düsenma-schinen als Bomber verliefen weitestgehend erfolglos, und die Kolbenmotorjäger Bf 109 und Fw 190 wurden in der Jagdbom-berrolle verbraucht, was am Ende den Tod der deutschen Jagdfliegerwaffe darstellte [13].
[2] Boog {1}, S. 189.
[12] zur Me 262 Baumbach, S.92ff, Griehl {1}, S. 51ff, zur Ar 234 ds., S. 67ff.
[13] Boog {1}, S. 136.
Neu hinzugekommene Literatur:
Werner Baumbach, Zu spät?Aufstieg und Untergang der deutschen Luftwaffe, Motor-buch Verlag, Stuttgart 1978
Manfred Griehl, Luftwaffe '45, Letzte Flüge und Projekte, Motorbuch Verlag, Stuttgart 2005