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Zur Entwicklungsmisere in der deutschen Luftwaffe 1939 - 1945

                                         Der (nicht vorhandene) Langstreckenbegleitjäger

Bevor wir uns den fehlgeleiteten Bomberentwicklungen zuwenden, seien ein paar Worte zu ihrem wenigstens teilweise erforderlichen Begleit-schutz gesagt: dem Langstreckenbegleitjäger.

 

Zunächst fällt auf, dass auf deutscher Seite nach der gescheiterten "Luftschlacht um England" kein Umdenken einsetzt, nachdem die als Begleit-schutz gedachten "Zerstörer" Messerschmitt Bf 110 wegen Unterlegenheit unter die britischen einmotorigen Jäger ihrer Rolle nur unzureichend gerecht werden konnten. Ein deutsches Muster für die Aufgabe wäre, mit wenig zusätzlichem Entwicklungsaufwand, zur Verfügung gestanden: die Focke-Wulf Fw 187. Behauptungen ihrer angeblich zu geringen Reichweite, etwa bei Becker, S. 58/60, gehen nach mir vorliegenden Berechnungen fehl. Außerdem wird auf die bauähnliche, wenn auch erst zu einem späteren Kriegszeitpunkt auf britischer Seite aufgekommene De Havilland DH-103 Hornet verwiesen, die beinahe 4.000 km schaffte.

 

Was hinter dieser Verweigerung des RLM gegenüber der auch geschwindigkeitsmäßig überlegenen und wendigkeitsmäßig ausreichenden Fw 187 steckt, ist nach den vorliegenden Unterlagen nicht wirklich klärbar. Der Schlussfolgerung von Hermann & Petrick, das RLM wusste wohl nicht, was es wollte (S. 134), können wir uns zwar schon aufgrund der anderen vorliegenden zahllosen Fehlentscheidungen anschließen. Aber auch der Gedanke führt nicht wirklich weit.

 

Denn weiter fällt auf, dass die Fw 187 als Langstreckenbegleitjäger überhaupt nicht im Gespräch ist! Oder noch schlimmer, der Langstreckenbe- gleitjäger als solcher wird gar nicht besprochen! Wie das?

 

Solches führt zu der Überlegung, dass das RLM an einem Langstreckenbegleitjäger überhaupt nicht interessiert war. Was könnte das für Gründe gehabt haben? Etwa folgende: nachdem das Deutsche Reich sich 1941 dem Osten zuwandte, war ein strategischer Luftkrieg gegen die britische Insel nicht mehr im Fokus, während die begrenzten Möglichkeiten der Sowjetluftwaffe einen Langstreckenbegleitjäger im Osten überflüssig machten. Zudem sollten die als überlegen gedachten Bomberentwicklungen keinen Begleitjäger benötigen. Der Schnellbomber braucht keinen Begleitjäger, weil er ja schneller sein soll als die Feindmaschinen. Der Höhenbomber wiederum braucht keinen Begleitjäger, weil er höher fliegt als jene. Der Nachtbomber, als der die eigenen konventionellen Maschinen über England eingesetzt werden, wird durch einen Begleitjäger keinen Schutz erfahren, soweit der nicht perfekt mit Radar ausgerüstet ist, was zunächst technisch nicht zu leisten war und später gegenüber der britischen Mosquito maximal Gleichstand versprach, keine Überlegenheit. Außerdem könnte die Fw 187 in der letztgenannten Rolle überfordert gewesen sein.

 

Für einen Langstreckenbegleitjäger für Tagbomber gab es also keine Aufgabe. Was sich erst dann als Manko herausstellte, als die Amerikaner mit diesem Konzept erfolgreich auftraten. Da war es für die deutsche Seite zu spät, nachzulegen.

 

Verwendete Literatur:

 

Hans-Jürgen Becker, Schwere Jäger und Zerstörer der Luftwaffe 1939 - 1945, Motorbuch Verlag, Stuttgart 1999.

Dietmar Hermann und Peter Petrick: Focke-Wulf Fw 187: Der vergessene Hochleistungsjäger, Aviatic Verlag, Oberhaching 2001.

 

Anmerkung:


Dietmar Hermann zitiert in einem Leserbrief an Flugzeug Classic vom Mai 2012 den Focke-Wulf-Chefingenieur Hans Sander, Göring persönlich hätte sich gegen die Fw 187 ausgesprochen. Zwei Motoren wären für einen Jäger zuviel. Niemand im RLM scheint ihm ernsthaft widersprochen zu haben.