Bei der Beurteilung der der deutschen Luftrüstung des Zweiten Weltkriegs kann die Rolle des Diktators nicht außen vor bleiben, selbst wenn man die Hauptschuld bei untergeordneten Personen lokalisieren mag. Es beginnt schon damit, dass Hitler die Beru-fung dieser Personen unternommen oder hingenommen hat.
Von der Führungsquadriga der Luftwaffe zu Beginn des Krieges, Göring, Milch, Udet und Jeschonnek, waren im Ersten Weltkrieg Göring, Udet und Jeschonnek Jagdflieger, Milch Kampfbeobachter gewesen. Keiner hatte sich in der Zwischenzeit als Luftstra-tege qualifiziert, auch und gerade nicht Generalstabschef Jeschonnek, der einzige Berufsoffizier darunter. Die Führung der Luft-waffe wäre in den Händen älterer Berufsoffiziere sicher in besseren Händen gewesen, diese standen dem Nationalsozialismus jedoch nicht unbedingt offen gegenüber, wofür das proletarische und nicht selten mit der Armee rivalisiernde Auftreten der NS-Massenorganisationen eine wesentliche Rolle spielte.
Selbstverständlich übte Hitlers generell desaströse Kriegführung [1] auch auf die Luftwaffe negativen Einfluss aus. Dass Hitler, wie bei der Diskussion um den Fernstbomber [siehe entsprechendes Kapitel] gelegentlich richtig lag, tut dem keinen Abbruch. Und auch eine Reihe Einzelentscheidungen mit negativen Folgen sind dem Dikator persönlich zuzurechnen. Hitler besaß keine Strategie, entsprechend auch keine Luftstrategie.
Was besonders gegenüber dem Hauptgegner USA ins Gewicht fällt, wo doch Hitler in Bezug auf den Fernstbomber das bessere Gespür als seine Untergebenen gehabt hatte. Da behauptete er einerseits, den "Sieg schon in der Tasche" zu haben [2], ander-erseits "noch nicht zu wissen, wie man Amerika besiegt" [3]. Nur eins von beiden konnte stimmen. Auch hier erwies Hitler sich einmal mehr (man erinnere sich an "Ab 4:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!") als Lügner.
Die Konzentration von Kräften auf die Schiffsbekämpfung im Nordatlantik (zu der wieder der Fernstbomber geeignet gewesen wäre) vereitelte Hitler mit seiner Anordnung von Vergeltungsangriffen gegen britische Städte unter dem Argument "Terror bricht man nur durch Terror" [4], weshalb viel zu schwach ausgestattete Offensivkräfte gerade einmal Störaktionen gegen britische Städte ausführten. Viel sinnvoller wäre es gewesen, die alliierten Bomberbasen in England (u.a.) durch Fernnachtjäger anzugrei-fen, denen die Bomber im Landeanflug nicht hätten entkommen können [5]. Stattdessen verlangte Hitler, die Bomber über Deutschland abzuschießen, da das deutsche Volk ein Recht darauf hätte, den Absturz der brennenden Feindmaschinen zu beo-bachten [6]. Gestaltet sich etwas schwierig, wenn man im Luftschutzkeller sitzt.
Eine der bekanntesten und schwersten Fehlentscheidungen Hitler ist sicher die Auslegung der Me 262 als "Blitzbomber" und nicht als Jäger [7]. Die völlig unsinnige und massiv Rohstoffe fressende Flak-Überrüstung war ebenso eine fixe Idee Hitlers [8]. Und final zehrte der von Hitler befohlene Missbrauch der Tagjägerwaffe zum Erdkampf dieselbe auf, anstatt die alliierte Luft-offensive zu brechen [9].
[2] Boog {1}, S. 119f.
[3] So Hitler zum japanischen Botschafter Oshima. Bernd Martin, Deutschland und Japan, S. 99 Anm. 26.
[4] Boog {1}, S. 133/135. Eine ähnliche For-mel hatte Hitler schon in "Mein Kampf" be-nutzt: "Terror bricht man nicht durch Geist, sondern durch Terror." (S. 246f/393), "...und daß man Zwang nur wieder durch Zwang bricht und Terror nur mit Terror." (S. 308/507), "...daß Terror nur durch Terror zu brechen sei, ..." (S. 334/550).
[5] Simon W. Parry, Intruders over Britain, S. 85f, 89. Gegenangriff einzig erfolgversprech-ende Verteidigungsmethode, Boog {1}, S. 127. Dazu wären neben den Fernnachtjäger die am Ärmelkanal stationierten deutschen Bomber sicher besser geeignet gewesen.
[6] Parry, S. 83.
[7] Boog {1}, S. 126. [8] Ds., S. 205.
(siehe zu [7] und [8] auch das Vorkapitel)
[9] Ds., S. 136.