Wir können im Nachhinein nicht wissen, ob es dem Deutschen Reich jemals hätte gelingen können, Anzahl und Qualität der benötigten Flugzeuge rechtzeitig zu fertigen. Wir können auch nicht wirlich berechnen, ob die not-wendigen Fachkräfte hätten gestellt werden können. Das Einzige, was wir sicher wissen, ist, dass es so, wie es angegangen wurde, nicht funktioniert hat.
Andernorts hat es jedoch funktioniert. Beispielsweise gelang es in den USA, über die mit "Battle of Kansas" pas-send bezeichnete Anstrengung, das große und komplizierte Flugzeug Boeing B-29 lange vor Kriegsende in aus-reichender Zahl zu fertigen, und das war "nur" das größte und schwierigste von vielen amerikanischen Rüstungs-vorhaben. Die Fachkräfte dafür fielen auch in den USA nicht von Himmel. Natürlich könnte man sich da fragen, wie die Amerikaner es geschafft haben, die notwendige Organisation auf die Beine zu stellen [1].
Wie wir bereits gesehen haben, Arbeitskräfte als solche fehlten im Deutschen Reich ja nicht [2]. Stattdessen ging es immer wieder um die zum Flugzeugbau notwendigen Fachkräfte. Stichworte hierzu sind etwa Konstrukteure allgemein [3], Arbeitsvorbereiter und Vorrichtungskonstrukteure [4], "Versuchsbaukräfte" [5]. Ein "Vergeltungspro-gramm" hätte 87.000 Mann erfordert [6]. Junkers-Chefkonstrukteur Hertel konstatiert für neue Maschinen "ver-zweifelt langen Serienanlauf" [7].
Diese Fachkräfte bereitzustellen, zu halten und zu behalten wäre Aufgabe einer bereits vor dem Krieg einsetz-enden weitreichenden Planung ("Verfünffachung der Luftwaffe" [8]) bzw. des "Göringprogramms" der ersten Jah-reshälfte 1941 [9] gewesen. Stattdessen "nutzte" man die erste Arbeitskräftekrise 1941/42 infolge des Schei-terns des Barbarossa-Angriffs [10], um durch "Sondereinziehungsaktionen" auch aus den Reihen der "unab-kömmlichen" Luftwaffen-Facharbeiter die Luftrüstung zu schwächen [11] und die Männer zu verheizen.
Generalfeldmarschall Milch war dabei weder fähig noch überhaupt willens, sich dieser Entwicklung entgegenzu-stellen. Aufgrund seiner Position nicht nur innerhalb der Luftwaffe, sondern auch in der Rüstungssteuerung wäre er in der Lage gewesen, sich gegen die beschriebene Entwicklung zu positionieren. Zum neuen Rüstungsminister Speer besaß er ein besonders enges Verhältnis [12] und wurde dessen Stellvertreter in der "Zentralen Planungs-kommission" [13]. Er war es, der den "Jägerstab" kreierte [14], der als "Rüstungsstab" schließlich die gesamte Rüstung unter sich vereinigte. Am 21.06.1944 wurde er offizieller Stellvetreter Speers [15] und blieb das und die Nr. 2 im Rüstungsstab [16], auch nachdem er als Generalluftzeugmeister abgesetzt wurde [17].
Milch formulierte auf der Konferenz vom 14.10.1943: "Wir sind vollkommen im Stich gelassen worden von den Arbeiterzuteilungsbehörden."[18] Anstatt wenigstens Mitverantwortung zu übernehmen, schiebt er diese auf die anonyme Bürokratie ab. Allerdings hatte Hitler laut Stilla Arbeitskräfteumsetzungen aus innenpolitischen Grün-den weitestgehend verboten [19].
[2] Budraß {1}, S. 800 "unerschöpfliches Arbeitskräftereservoir". Siehe auch Holger Bergmann, http://wie-man-weltkriege-macht.de/6-2/.
[5] So Messerschmitt auf der Konferenz vom 14.10.1943 (S. 6257), was immer er sich unter diesem Berufsbild vorstellt.
[7] 440320 536 - 541. Bedeutet, dass Hertel sich den Sachverhalt auch anders vorstellen konnte.
[8] Z.B. Budraß {1}, Kapitel ab S. 557.
[9] Angesichts der späteren Zahlen mutet die Vergrößerung um 3,5 Millionen Mann phantastisch an. Eichholtz, Band II, S. 13f. [10] Ds., S. 27.
[11] Ds., S. 235.
[12] Ds., S. 57.
[13] Ds., S. 83. [14] Eichholtz, Band III, S. 16f.
[15] Ds., S. 39f, 50.
[16] Rüstungsstabsberichte vom Spätsommer 1944 sind häufig als Schreiben von Speer an Milch abgefasst (Beispiel -> hier 6. Seite).
[17] Hitler machte offensichtlich Milch dafür verantwortlich, dass die ersten Serienexemplare der Me 262 als Jäger und nicht als Bomber ausgeliefert worden waren. Ob Milch dafür überhaupt etwas konnte, tatsächlich hatte er die Auslegung der Maschine als Jäger gegenüber Hitler verteidigt, lässt sich an dieser Stelle nicht entscheiden.
Ereignis beschrieben etwa bei Toliver & Constable, Adolf Galland, Herbig, Mün-chen und Berlin 1992, S. 259f. Lustig dort, wie Hitler mit wenigen Federstri-chen die Me 262 zum Bomber "umkonstruiert".
Bei Hentschel, beginnen Abschnitte, die sich mit der Arbeitskräftesituation be-fassen, auf den Seiten 44, 45, 48, 49, 50, 51, 86, 148, 163 und 164.
Neu verwendete Literatur:
Dietrich Eichholtz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939 - 1945, 5 Bände, K. G. Saur Verlag GmbH, München 2003